250 Jahre Musikverlag und Musikhaus André

Mozart und André

Der Erwerb von Mozarts Nachlass
Erzählt aus der Sicht von Johann Anton André

Gerade mal 24 Jahre war ich jung als mein Vater, Johann André, starb. Nicht nur, dass mir sein Rat und seine Unterstützung fehlten; nein, mit seinem Tod lastete auch eine enorme Verantwortung auf meinen Schultern. Vielleicht war es der Mut derjenigen, die meinen, viel schlimmer könne es eh nicht mehr werden, der mich einen folgenschweren Entschluss fällen ließ. Ich weiß es nicht. Was ich aber weiß, mittlerweile immerhin, ist, dass der Ankauf des musikalischen Mozart-Nachlasses die beste Entscheidung meiner beruflichen Laufbahn war. Gott sei Dank! Es hätte auch anders ausgehen können, doch darüber mag ich nicht nachdenken. Also, wie war es dazu gekommen? Zeit für einen Blick zurück:

1799 war mein Vater gestorben, ich war von heute auf morgen Inhaber eines Musikverlags, der die Verantwortung für das Wohlergehen seiner Mitarbeiter trug. Im gleichen Jahr war ich auf Reisen gewesen, unter anderem hatte ich einen längeren Aufenthalt in Wien, der Stadt der Habsburger und ja, natürlich, des großen Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart. Er war da schon fast neun Jahre tot, gestorben mit gerade mal 35 Jahren.

Porträt Wolfgang Amadeus Mozart

Seiner Witwe, Constanze, hinterließ er vor allem eins: Schulden. Nicht, dass die Mozarts arm gewesen wären – das nicht. Aber das Genie pflegte einen sehr aufwändigen Lebensstil und den ließ er sich etwas kosten. Die arme Frau verlor nicht nur viel zu früh ihren Ehemann, sondern auch vier ihrer sechs Kinder, noch bevor sie ihren ersten Geburtstag erlebten. Jedenfalls lernte ich Frau Mozart während meines Besuchs in Wien kennen und kehrte mit ihrer Zusicherung, die noch vorhandenen Handschriften ihres Mannes zu erhalten, nach Offenbach zurück.

Constanze Mozart im Jahr 1802,
Porträt von Hans Hansen

Im Nachhinein sollte sich das als Coup herausstellen, aber während meiner Rückreise an den Main wechselten sich Euphorie und beklemmendes Herzklopfen ob meiner eigenen Courage beständig ab. Denn umsonst habe ich Mozarts Autografen nämlich natürlich nicht überlassen bekommen! Das kostete mich schon ein Vermögen – und kein kleines … Ja, ich bin schon ein recht hohes unternehmerisches Risiko eingegangen.

Wie gesagt, Mozart war ja schon fast ein Jahrzehnt tot und es wäre durchaus möglich gewesen, dass das allgemeine Interesse an seiner Musik zwischenzeitlich nachgelassen hat. Und das wäre dann eben wenig erfreulich für mich und natürlich meine Mitarbeiter gewesen. Einfach nicht drüber nachdenken, das hat seinerzeit ja auch gut funktioniert. Naja, mehr oder weniger. Aber trotz des mulmigen Gefühls, das mich hin und wieder beschlich, war es doch auch gutes Gefühl zu wissen, dass ich dazu beitragen konnte, Constanze Mozarts finanzielle Sorgen zu lindern und die Benefizkonzerte, die veranstaltet wurden, damit sie ihren Lebensunterhalt bestreiten konnte, seltener wurden.

Im März 1800 war es dann endlich so weit: Mehr als 270 Werke von Wolfgang Amadeus Mozart erreichten in 15 Paketen nach ihrer langen Reise, die in Wien begonnen hatte, Offenbach. Ich besaß nun alle Handschriften des jung verstorbenen Komponisten, die seine Witwe zu diesem Zeitpunkt noch nicht veräußert hatte. Frau Mozart, die später ihren Berater, Georg Nikolaus Nissen heiraten sollte, hätte von dem Vertrag, den wir im November 1799 geschlossen haben, noch bis Januar 1800 zurücktreten können. Sie nutzte die Zwischenzeit, um mit einem anderen Verleger zu verhandeln, dem sie bereits zuvor schon Manuskripte ihres Mannes verkauft hatte – als Geschäftsmann kann ich ihr Handeln gut verstehen! Aber die Leipziger, Breitkopf & Härtel, hatten kein Interesse an dem Schatz, der ihnen angeboten wurde – ihre Ignoranz war mein Glück! Oh, war ich erleichtert, dass eine entsprechende Nachricht aus Wien ausblieb: Mozarts Noten sollten tatsächlich nach Offenbach kommen!

Ich konnte es kaum abwarten, meinen fulminanten Neuerwerb öffentlich bekannt zu machen. Schon im Februar des gerade neu begonnen Jahrhunderts veröffentlichte ich deshalb die Neuigkeit im Frankfurter Staats-Ristretto, um die musikbegeisterte Gesellschaft neugierig zu machen:

Anzeige einer Herausgabe von Mozarts Werken.
Die Frau Witttwe Mozart in Wien, hat mir die sämmtlichen ihr hinterbliebenen Manuscripte ihres Mannes, käuflich überlassen. Dadurch bin ich in den Stand gesetzt, die korrekteste Herausgabe, mehrerer bekannten und unbekannten Werke unsers Mozarts, zu veranstalten. Die ganze noch vorräthige Auflage, des von der Frau Wittwe herausgegebenen Klavier- Konzerts habe ich ebenfalls an mich gekauft, und werde nun zu diesem Konzert, die noch übrigen Nummern nachliefern. Auch sollen im Verfolge meiner Herausgabe, wenigstens vier seiner besten Opern und vielleicht auch mehrere Instrumental-Compositionen in Partitur erscheinen. Ich ersuche daher ein geehrtes musikalisches Publikum, auf diese meine Herausgabe Rücksicht zu nehmen, über welche von Zeit zu Zeit, immer noch ausführlichere Anzeigen erscheinen werden.
Offenbach a. M. den 31. Jan.[uar] 1800.

Johann André.


Ja, man muss die Leute bei Laune halten! Doch natürlich erfuhr durch meine Anzeige auch die Konkurrenz in Leipzig von dem erfolgreichen Geschäft zwischen Constanze Mozart und dem Hause André. Ihr Konter in der Allgemeinen musikalischen Zeitung ließ nicht lange auf sich warten.

Breitkopf & Härtel bemühten sich sehr, den von mir angekauften Nachlass schlecht zu reden. Ich hatte aber wirklich kein Interesse daran, in diesen Disput einzusteigen und das Ganze so noch anzufeuern. Klüger schien es mir, Constanze Mozart davon zu überzeugen, auf die missgünstigen Zeilen der Konkurrenz zu antworten. Das tat sie auch, sonst hätte ich auch die Auszahlung der Kaufsumme zurückgehalten. Als Geschäftsfrau, die sie war, konnte sie die Notwendigkeit meines Handelns selbstverständlich nachvollziehen.

Darauf stichelten die Leipziger noch weiter, ich ließ mich davon aber nicht beirren. Nachdem ich die Kisten mit Mozarts Noten in meiner unmittelbaren Nähe wusste, verbrachte ich meine freien Stunden nur zu gerne damit, dieses Konvolut zu analysieren, zu strukturieren – kurz: Mozarts Kunst zu durchdringen. Durch dieses Eintauchen entwickelte ich ein außerordentliches Gespür und Verständnis für das Besondere, das die Melodien des Genies aus Salzburg auszeichnete. Und eben dieses Wissen zahlte sich für meine Kundschaft aus, die bei mir sozusagen den authentischsten Mozart in Notenform bekamen.

Erste lithographierte Mozart-Erstausgabe
1800

1805 war dann endlich ein Meilenstein erreicht: Ich konnte Mozarts eigenhändiges Werkverzeichnis herausgeben und habe damit das erste gedruckte Komponisten-Werkverzeichnis der Musikgeschichte veröffentlicht! Mozarts Noten, die bei mir gedruckt wurden, habe ich als die seinen kenntlich gemacht: „Edition faite d’après le manuscrit original de l’auteur“, übersetzt also „Ausgabe nach dem Originalmanuskript des Autors“. So wussten jene, die Mozarts Noten gerne bei sich zuhause erklingen ließen, dass sie tatsächlich die Melodien des Meisters spielten und nicht irgendwelches Gemurkse, das aufgrund von Fehlern im Druck oder Unkenntnis der Mozartschen Kunst entstanden ist.

„Machen Sie nur um des himmelswillen, daß Ihre Ausgaben höchst correct werden!“ mahnte Constanze Mozart und ihrem Anspruch wurde ich gerecht – nicht nur bei Mozart.

Verfasst von Dr. Jennifer Jessen