250 Jahre Musikverlag und Musikhaus André

Ich, Johann Anton

Meine Geschichte
Erzählt aus der Sicht von Johann Anton André (gespielt von Michael Quast) statt einer Festrede zum Festakt ,250 Jahre Musikverlag Johann André‘ am 7. Juni 2024 in der Alten Schlosserei in Offenbach am Main

Ich muss mal kurz unterbrechen, aber ist Ihnen das aufgefallen? Diese eine Phrase, da merkt man einfach meine Bewunderung für Mozart, ich gestehe das ganz offen, ich saß da über seinen Noten, den Original-Handschriften, verstehen Sie, also von Mozarts eigener Hand, selbst geschrieben, ich saß jahrelang über diesen Manuskripten und habe sie studiert und geordnet und analysiert, ich habe mich da reinvertieft und irgendwie erstmal gar nicht daran gedacht, dass ich sie herausgeben muss, also abgesehen von den Klavierkonzerten, die kamen schon 1800 heraus, im neuartigen Steindruck, drucken und verkaufen, verstehen Sie, das war ja eigentlich mein Metier, aber da hatte ich nun diesen Schatz und wollte ihn erstmal studieren, verstehn Sie, begreifen, was ich da vor mir hatte, ein thematisches Verzeichnis anlegen, das war nicht einfach, der Mozart hatte nicht alles datiert. Ich hab da also philologische Studien getrieben – da merkt man im Übrigen natürlich auch meinen eigenen Kompositionen an, wie gesagt, Sie können gleich das Streichquartett zuende hören, aber über dieser Arbeit sind mir die Leipziger, also Breitkopf & Härtel, mit ihren Veröffentlichungen zuvorgekommen. Die hatten nämlich von der Witwe Mozart und ihrem Herrn Nissen Abschriften erhalten, was soll ich dazu sagen, die haben damit ein doppeltes Geschäft gemacht.

Immerhin sind dann auch bei uns Ausgaben erschienen, mit dem Vermerk „Edition faite d’après la partition en manuscrit“, also wirklich nach dem Originalmanuskript aus Mozarts Feder, das war schon was Besonderes … Oh, ich glaube, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt!

Entschuldigen Sie bitte, Johann Anton André, auf das Anton kommt es an, mein Vater Johann André war der Gründer unseres Hauses, ich war dann die zweite Generation (jetzt sind wir schon bei der achten Generation, herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle auch von meiner Seite). Was kann ich Ihnen über mich erzählen, der Stadthistoriker Emil Pirazzi (ein Sproß der Offenbacher Manufaktur zur Herstellung von Saiten für Musikinstrumente, heute Pirastro, kennt jeder, weltweit, gegründet 1798, da kommt also wieder was auf Sie zu! Aber ich schweife ab …), also der Stadthistoriker Pirazzi hat mich so beschrieben:

ein kräftiger, „ein wenig knieschüssiger Gang, den dicken Stock, Spitze nach vorn, unterm Arm getragen“.

Jetzt weiß ich nicht, was er mit „knieschüssig“ meint, aber den Stock mit der Spitze nach vorn, das hat mir gefallen! Da hat er recht! Den Stock, Spitze nach vorn.

In der FAZ stand kürzlich über mich: „ein vor kaufmännischen Abenteuern, kulturellen Innovationen und ökonomischen Konkurrenzkämpfen nicht zurückschreckender Jungunternehmer aus Offenbach“ – kurz: den Stock, Spitze nach vorn!

Was erzählt man sonst noch so von mir?

Ich hatte 15 Kinder mit meiner lieben Frau Marie Julie, aus Darmstadt. Und ich meine, des ganze Gezewwel, da verliert mer leicht den Überblick. Davon handelt eine kleine Begebenheit, die ich etwas übertrieben finde, aber sie ist immerhin in drei Varianten überliefert.

Eins:

Ich treff auf der Straß en klaane Bub, der sich mit Dreck beschmiert. Ich sag zu ihm: Ei Bub, wenn du meiner wärst, dürftest du des net! Die Antwort: Ei Babba, ich bin’s doch!

Zwei:

Ich treff auf der Straß en klaane Bub, der weinend uffm Rinnstein sitzt. Ich saach zu em: Ei wie heißte dann, wo wohnste dann? Drauf der Kleine: Ei Babba, kennste mich dann net?

Drei:

Ich geh in unser Geschäftshaus, damals in der Domstraß, sitzt uff der Trepp en klaaner Bub middem Butterbrot. Ich frag ihn: Ei was willste dann hier, Bubche?

Antwort:

Ei ich wollte dem Herrn Vadder nur mal gude Morche saache.

Alles angeblich verbürgt. Noja. Ich war stets ein Mann der offenen Worte. Der Musiker Carl Gollmick, der hat im Theaterorchester in Frankfurt die Pauke geschlagen und nebenbei ein „Handlexikon der Tonkunst“ rausgebracht – ist bei uns erschienen, 1857 – der hat verbreitet, ich zitiere:

„Gern sah man ihn (also mich) in der Oper und in Konzerten zu Frankfurt. Nur einem Mann von so herrlichen Eigenschaften konnte man es vergeben, wenn er zum Beispiel bei Musikaufführungen, sobald ihm etwas mißfiel, mit einem klassischen Mephistogelächter auf und davonlief.“

Ich sage nur: Den Stock, Spitze nach vorn.

Die anderen Andrés müssen immer recht freundliche Zeitgenossen gewesen sein. Sind sie auch heute noch. Auch zu Tieren übrigens. Von meinem Sohn August André gibt es eine Geschichte, die ich Ihnen erzählen muß: Das nächtliche Gemaunze der Katzen hat ihn wohl sehr gestört. Also sagt er zu einem Angestellten: „Anton, schütt Wasser auf die Katzen! Nimm aber lauwarmes.“

So war ich net! Von mir hätt die Katz kochend Wasser drübberkrieht!

Aber ich komme auf den „Jungunternehmer“ zurück.

Unternehmerischer Weitblick mit 24 Jahren:

Der Erwerb des Mozartschen Nachlasses und die kommerzielle Nutzung des neuen lithographischen Druckverfahrens – jaja. So Leute können Sie doch heute auch gebrauchen, oder?

Ich erzähle Ihnen mal, wie das gelaufen ist. Ich meine, das hätte auch schiefgehen können, sowohl der Coup mit dem Mozart-Nachlaß als auch die Lithographie-Geschichte mit dem Senefelder.

Auf die Mozart-Witwe hat mich der alte Haydn aufmerksam gemacht. Der saß in Wien, war fast 70, hat meinen Vater gekannt. Irgendwie hat der mitbekommen, daß ich den Laden jetzt führe und was verstehe von der Sach. Da hat er mir den Tipp gegeben, daß die Witwe Constanze Mozart vermutlich finanziell klamm ist.

Ich meine, ich wußte schon, was ich tat. Bereits 1790 und nach 1792 sind Mozart’sche Werke bei uns im Verlag erschienen, ich hatte also schon eine Ahnung. Dann hab ich als Junge den Mozart auch kennengelernt. Der kam zur Kaiserkrönung (Leopold II.) 1790 nach Frankfurt, ich war 15, 16. Mozart also besuchte meinen Vater in Offenbach, er kam in einem „grauen Reisemantel“. In allen Berichten ist von diesem „grauen Reisemantel“ die Rede.

Just an dem Tag fand bei uns ein kleines Werkstattfest für die Mitarbeiter statt, ein Tanzvergnügen. Mozart mischt sich sofort unter die Tanzenden und schnappt sich ein besonders hübsches Mädchen. Unsere Leute stellen ihn zur Rede, wie er dazu kommt, hier einfach so reinzuplatzen und da soll Mozart gesagt haben: „Na, werdet’s dem Mozart doch noch an Danz vergönnen!“

Ich habe ihn dann auch noch erlebt bei einer Probe am Mannheimer Theater, die haben dort gerade den Don Giovanni geprobt und Mozart war mit den Tempi nicht einverstanden. Er hat den Kapellmeister kritisiert und lebhaftere Tempi verlangt. Das fand ich interessant. Heute würde ich im Rückblick sagen: schau mal an, den Stock, Spitze nach vorn. Aber jetzt geht es ja um den Nachlaß. 1799. Die Stücke waren teilweise zwanzig, ja dreißig Jahre alt und das Publikum wollte vor allem Neues hören. Würde das funktionieren?

Ich habe mir den Haufen Noten genau angesehen. Ich glaube, die wußten gar nicht, was da alles dabei war! Auch Breitkopf & Härtel, die Konkurrenz in Leipzig, die hatten keine Ahnung. Da war keiner in Wien und hat sich das angeschaut, so wie ich das getan habe. Mozarts eigenhändiges Werkverzeichnis! Das handschriftliche Original von Don Giovanni! Der Zauberflöte! Insgesamt 273 Autographen. Klavierkonzerte, Sonaten, Streichquartette und -quintette. Der gesamte Nachlaß von Mozart, en bloc. Die kleine Nachtmusik – wer konnte damals ahnen, das das Stückchen einmal weltberühmt sein würde? Man konnte es vermuten, man konnte es hoffen … Es war, wie gesagt, ein gewisses Risiko dabei. Ich habe also 3.150 Gulden geboten, das wären heute, wenn ich recht informiert worden bin, zwischen 70 und 80 Tausend Euro! (Ist hier jemand, der sich da auskennt? Gulden – Euro?) Das war jedenfalls ein Heidengeld, heieieiei! Und die waren einverstanden, also die Witwe Constanze und Herr Nissen, dieser Däne, Georg Nikolaus Nissen, ein Diplomat (das war ihr Berater und später ihr zweiter Ehemann, war ja klar – ja gut, der Mozart war schon acht Jahre tot. Die hat ja später behauptet, der Nissen sei adlig, also auf seinen Grabstein hat sie „Georg Nicolaus von Nissen“ schreiben lassen, aber das hat sie erfunden. Naja.)

Offensichtlich konnte ich die beiden überzeugen. Am 8. November 1799 haben wir den Vertrag aufgesetzt und unterschrieben. Ich bin da volles Risiko gegangen, denn die Mozart und der Nissen haben darauf bestanden, dass der Witwe Constanze zwei Monate Rücktrittsrecht gewährt werden, ich meine, das war schon … Punkt 5 im Kaufvertrag, – was sollte ich machen? Zwei Monate Rücktrittsrecht.

Und sie hat auch sofort versucht, Kapital daraus zu schlagen. Schon einen Tag nach der Vertragsunterzeichnung, also am 9. November, schreibt die Constanze Mozart an Breitkopf & Härtel in Leipzig und bietet denen das ganze Notenkonvolut an, für 4.500 Gulden.

Das hat sie in der Folge noch ein paarmal versucht, aber die Leipziger haben abgelehnt. Die hatten schon ein paar Kopien und im Übrigen war niemand aus Leipzig da gewesen, wie schon gesagt, um sich diesen Schatz genau anzuschauen. Die hatten keine Ahnung – wie gesagt: Die Zauberflöte! Don Giovanni! Wahnsinn! Was für eine Fehleinschätzung!

Dann war die zweimonatige Frist abgelaufen und ich kam zum Zuge! Dann habe ich das veröffentlicht, im „Frankfurter Staats-Ristretto“ vom 10. Februar 1800:

„Die Frau Wittwe Mozart in Wien hat mir die sämmtlichen ihr hinterbliebenen Manuscripte ihres Mannes, käuflich überlassen. Dadurch bin ich in den Stand gesetzt, die korrekteste Herausgabe, mehrerer bekannten und unbekannten Werke unseres Mozarts, zu veranstalten.“ So!

Als das in der Welt war, kam aus Leipzig eine lauwarme Erklärung im „Intelligenz Blatt zur Allgemeinen musikalischen Zeitung“ vom 5. März 1800, ein Versuch, den Wert meines Ankaufes öffentlich madig zu machen und auf ihre eigenen Mozart-Ausgaben hinzuweisen. Da hab ich dann aber von Frau Witwe Mozart eine Gegendarstellung verlangt. Ich habe ganz unverholen gedroht, daß ich den Kaufpreis nicht überweise – verstehen Sie, das Geld war noch nicht geflossen! Zum Glück! – daß ich nicht überweise, wenn sie das nicht klarstellt! Sie hat tatsächlich brav geschrieben, hörn Sie mal, ich zitiere:

„Herr André ist der höchstrechtmäßige Eigenthümer, nicht eines Restes, sondern einer fast vollständigen Sammlung vollkommen korrekter und vollkommen authentischer Werke im Original Manuskripte von der ersten Jugend Mozarts an bis zu seinem Tode geworden. Herr André hat diese Erklärung von mir gefordert; er hat ein Recht darauf; sie ist der strengsten Wahrheit gemäß, ich gebe sie ihm hiermit.
Wien den 13. März 1800
Constanze Mozart “


Veröffentlicht im Frankfurter Staats-Ristretto vom 4. April 1800. Und damit wars dann auch gut.

Soviel zum Thema Jungunternehmer und „unternehmerischer Weitblick“! Jetzt könnte ich noch Einiges zum Senefelder erzählen, Litographie usw., aber Sie wollen sicher das Streichquartett weiter hören, da fehlt ja noch ein Satz …

Also der Senefelder, auch so meine Generation, vier Jahre älter, der Senefelder kam aus einer Schauspielerfamilie, naja, war ja sogar selber mal Schauspieler gewesen bei diversen Wanderbühnen, und dann dieses Lustspiel in drey Aufzügen: „Die Mädchenkenner“ – also naja! Ich weiß nicht!

Noch ein Stück aus Senefelders Feder: „Mathilde von Altenstein, oder die Bärenhöhle. Ein ritterliches Schauspiel in fünf Aufzügen.“ Würden Sie das sehen wollen? Ich weiß nicht. Aber der war auch Requisiteur am Theater, der hatte ein Händchen, verstehen Sie, der hatte ein Verständnis für mechanische Zusammenhänge, wie soll ich das sagen – der Mann war einfach genial.

Ich war also auf meiner Reise, von Offenbach aus nach Nürnberg, München, Wien, Prag, Dresden, ich wollte nach dem Tod meines Vaters und der Übernahme der Firma mit Musikern und Komponisten bekannt werden, ich wollte den Kundenkreis der Firma erweitern – in München also lese ich in der Zeitung von diesem neuen Verfahren: Steindruck. So hab ich den Senefelder kennengelernt.

Ich ließ mir das von ihm vorführen.

Ich war überzeugt.

Sofort einen Vertrag gemacht, womit ich das „Geheimnis, Noten und Bilder auf Stein zu drucken“ für 2000 Gulden erwarb.

Dann hab ich ihn, als ich von meiner Reise wieder zurück war, im Dezember 1799 nach Frankfurt geholt, hab ihm eine Werkstatt aufgebaut, – ja, er wollte auch ein Reitpferd haben, hat er bekommen, gut – und dann haben wir in Offenbach die Lithographie – wie soll ich sagen, groß gemacht, kommerziell tauglich gemacht, und dann auch in London und in Paris usw. und jetzt müssen Sie unbedingt noch den dritten Satz meines Streichquartetts Op. 14. hören!

Und vergessen Sie nicht, falls Sie mal mit einem Stock unterwegs sind:

Spitze nach vorn!

Verfasst von Michael Quast, Schauspieler, Autor und Direktor der Volksbühne Frankfurt Rhein-Main im Großen Hirschgraben

Fotos: Ralph Philipp Ziegler